Macchu Pichu und Cusco sind fuer alle Peru-Reisende magische Worte: Alle wollen hin, und alle, die schon dort waren, werden fleissig ausgefragt und um Insider-Infos gebeten.
Cusco war unter den Incas Hauptstadt ihres riesigen Reiches und kulturelles wie politisches Zentrum. Ausserdem liefen hier die vier „Hauptverkehrsadern“ aka Inca-Wege zusammen, die die vier Regionen des Tawantinsuyo mit der Hauptstadt verbanden. „Tawa“ bedeutet auf Quechua „vier“, „suyo“ „Region“, denn das Inca-Reich war in vier Regionen aufgeteilt und erstreckte sich vom Norden Argentinien und Chiles ueber Bolivien, Peru und Ecuador bis in den Sueden Kolumbiens – damals Kollasuyo, Antisuyo, Chinchaysuyo und Contisuyo. Das gewaltige Wegenetz des Qapaq Ñan sowie verwaltungstechnische Meisterleistungen hielten das Reich zusammen.
Wer also in all diesen Laendern auf Inca-Wegen wandeln oder wandern will, hat gerade in Peru unendlich viele Moeglichkeiten – und kann auf das kleine, sauteure Stueckchen Trekking zum Macchu Pichu, das als „DER“ Inca-Trail verkauft wird, getrost verzichten. Genausowenig gibt es „DEN“ Sonnentempel, stattdessen hatte jedes religioese Zentrum der Inca einen.
Und noch eine Anmerkung: Wir denken zwar bei Peru immer an die Inca, tatsaechlich gab es aber vor ihnen bereits zahlreiche andere hochorganisierte Kulturen. Die uns in Europa nur leider nichts sagen, weil unser Geschichtsunterricht so extrem eurozentriert ist. Und weil zur Zeit der Conquista durch die Spanier eben gerade die Inca an der Macht waren (und selbst zahlreiche Voelker unterworfen hatten). Waeren die Spanier hundert Jahre eher oder spaeter gekommen, wer weiss…
In Cusco kann man also koloniale Haeuser mit geschnitzten Balkonen bestaunen, die auf Inca-Fundamenten stehen und katholische Kirche, mit denen Inca-Tempel buchstaeblich plattgemacht wurden. In Cusco hoert man deswegen den gaengigen Witz: „Esto lo construyeron los incas y esto los incapaces.“ Ein Wortspiel, denn „incapaz“ bedeutet unfaehig – und damit sind die Spanier gemeint. Denn bei den Inca-Mauern fuegen sich die Steine so perfekt aufeinander, dass nicht einmal ein Haar in die Fugen passt und zur Erdbebensicherheit sind alle Mauern um 6 Grad nach innen geneigt. Die zum Teil tonnenschweren Steine sind mit solcher Praezision aufeinandergebaut, teilweise abartige Theorien zu hoeren sind – die Inca haetten etwa Hilfe von technologisierten Ausserirdischen erhalten, denn bis heute ist es ein Raetsel, wie sie die Steinbloecke derart exakt zuschneiden und dann in die Hoehe hieven konnten. Vergleicht man diese ARchitektur dagegen mit den Mauern der spanischen Kolonialisten, hat man das Gefuehl, dass dort ein Kind mit Baukloetzen gespielt haette. Im Gegensatz zu den Inca mussten die Spanier ihre Mauern mit reichlich Zement zusammenhalten, und dennoch brachen sie bei den haeufigen ERdbeben mehrfach in sich zusammen.
In Cusco treffe ich endlich Lukas aus Argentinien wieder, den ich in Bolivien kennengelernt hatte. Und er nimmt sich zwei Tage frei, damit wir zusammen (einen sehr sehr kleinen Teil der Ruinen und Sehenswuerdigkeiten in Cuscos Umgebung besuchen koennen. Denn die Inca (und ihre Vorgaenger) haben derart viele Staettn hinterlassen, dass man problemlos zwei Monate durch Peru reisen und jeden Tag eine andere Ruine eier anderen Kultur besuchen koennte. Und weil ich den touristischen Durchlauferhitzer-Betieb satthabe, ziehen wir auf eigene Faust und mit dem Zelt los.
So fahren wir eines Morgens mit dem Bus nach Pisaq und goennen uns ein Taxi auf den Berg – die Inca hatten eine Vorliebe fuer schwer schwindelne Hoehen und schoene Aussichten, die aber entsprechend schwer zugaenglich sind. Schon vom Auto aus sehen wir das gigantische Halbrund hunderter landwirtschaftlicher Terrassen, die die Inca in den Berg gebaut haben.
Wie viele Millionen Steine sind dafuer bewegt worden, wie viele Stunden ARbeitskraft gebraucht worden? Oben rechts im Bild sieht man den sog. „militaerischen Komplex“; man vermutet, dass in den vielen Haeusern Militaers wohnten. (Denn obwohl Chronisten vieles aus der Zeit der Conquista festgehalten haben, wissen wir immer noch viel zu wenig ueber die Inca, geschweige denn ihre Vorgaenger.) Wir sind frueh dort und koennen diesen Teil der Ruinen noch ohne Touristenhorden besichtigen – doch bald fallen sie ein, ein Guide mit Faehnchen, dahinter zwanzig Schafe, drei Worte zu den Ruinen, Foto hier, Selfie da, und ab zurueck zum Bus. Denn die Tours besichtigen bis zu zehn Ruinen an einem Tag. Kopfschuetteln unsererseits. Wir spekulieren wild herum, wozu dieses oder jenes wohl gedient haben koennte, wie es hier wohl zu Zeiten der Inca aussah… Ich stelle mir das Menschengewimmel vor, Kontrollpunkte fuer die Menschen, die auf einem der Inca-Wege Richtung Cusco wanderten, Soldaten, Bauern,…
Dann laufen wir die Terrassen hinunter und ueber einen Weg (links mittig im Bild) zum Intiwatana, dem religioesen Komplex. Und siehe da – wir sind fast alleine. Nur eine Handvoll Menschen verirrt sich in diesen abgelegenen Teil. Und so flaezen wir uns zwischen Jahrhunderten alten Tempeln ins Gras, vespern, Lukas macht eine Siesta und ich steige auf einen Aussichtspunkt. Meine Haende streichen ueber die perfekt zugeschnittenen Steine der Tempel – diese besondere, „lueckenlose“ Technik verwendeten die Inca nur fuer religioese Bauten, die anderen waren einfacher gebaut. (Siehe Foto unten: rechts Tempel, im Hintergrund ein Stadtteil.) Ausserdem entdecke ich die genialen Wasserleitungen, nur aus Stein gebaut, die bis heute Wasser aus einer hochgelegenen Lagune zu den Tempeln leiten – groesstenteils unterirdisch!
Wir sehen uns noch zwei weitere Stadtteile an und laufen dann, an noch mehr und noch mehr Anbau-Terrassen hinunter ins aktuelle Dorf Pisac. Ich staune immer mehr ueber die Inca und ihre Ingenieursleistungen. Ausserdem muessen sie sehr, sehr, sehr sportlich gewesen sein, um alle Materialien auf ihre Bergstaedte hinaufzuschaffen (ganz anders als die heutigen Peruaner, ehem).
Von Pisaq nehmen wir einen Bus nach Ollantaytambo. Dort angekommen, ist es fuer einen Besuch der Ruinen zu spaet und wir beschliessen, einen Campingplatz zu suchen. Weil uns der eine, den wir finden, zu teuer ist, fragen wir einen Polizisten und der meint, wir koennten im „Stadium“ campen, das sei staedtisches Gelaende und umsonst. Und so bauen wir wenig spaeter unser Zelt am Rand des Fussballplatzes auf. Wenn auch nicht direkt auf dem Rasen (wie ich eigentlich wollte), sondern vor Regen beschuetzt unter Wellblechvordaechern. Dort finden wir sogar eine Feuerstelle und eine Wasserleitung und ein paar dreckige Toiletten gibt es auch. Ganz zu schweigen von dem herrlichen Sternenhimmel zwischen den massiven Bergen… Die Feuerholzsuche gestaltet sich im Dunkeln ziemlich schwierig, mehrfach greifen wir in Kakteen statt zu Aesten. Letztendlich hockt sich Lukas neben das Feuer und fuettert es unendlich geduldig mit den duerren Zweiglein. Ausserdem faellt uns auf, dass wir leider doch die Kartoffeln fuer unsere Suppe vergessen haben. Aber es gibt fuer alles eine Loesung: Richtung Zentrum ist mir ein Stand mit Anticuchos aufgefallen, Fleischspiesse mit Kartoffeln, und ich will der Verkaeuferin ein paar Kartoffeln abkaufen. Auf dem Weg dahin sammle ich noch mehr Holz und ramme mir dabei eine riesige Kaktusstachel in die Hand – so tief, dass ich sie allein nicht hinausziehen kann. Mit schmerzverzerrtem Gesicht renne ich also zu der Schaschlik-Vrkaeuferin und bitte sie leicht panisch, mir bitte zu helfen. Die zoegert nicht lange und -zack- sieht sie mir die STachel aus dem FLeisch, waehrend ich aufschreie. Dann verkauft sie mir seelenruhig ein paar gekochte Kartoffeln und geheilt und gluecklich laufe ich zurueck zum Fussballplatz. Die Polizisten in dem Polizeiauto, das in der Naehe parkt, bemerken micht nicht. Sind viel zu sehr mit ihrem Handy beschaeftigt. Und so geniessen wir etwas spaeter die beste Campingsuppe der Welt aus Kartoffeln, Karotte, Zwiebel und chinesischen Instantnudeln. In der Nacht traeume ich von rauschen Fluessen und reissenden Baechen – und am Morgen bemerken wir, dass der Rasen des Platzes komplett ueberschwemmt ist. So giesst man einen Fussballplatz, wenn man keinen Rasensprenger hat: Man leitet mit zwei Rohren das Wasser aus dem Bach auf den Platz und ueberschwemmt ihn. Gut, dass wir nicht auf dem Rasen geschlafen haben…
Wir bauen das Zelt ab und stellen unsere Rucksaecke beim Waerterhaeusschen ab, um die Ruinen von Ollantaytambo zu besichtigen.
Auch hier wieder Terrassen, Gebaeude, Treppen ohne Ende, Tempel… Wie konnten die Inca an so vielen Orten gleichzeitig derart komplexe Staedte bauen? Immerhin koennen wir heutzutage auch all die Tempel und Stadtteile besichtigen, die damals nur der ELite und den Priestern zugaenglich waren.
Als naechstes fahren wir mit dem Minibus zu den Salinen von Maras. Beziehungsweise, der Busfahrer schmeisst uns an der Landstrasse raus und wedelt unbestimmt den Berg hoch: „Jaja, da rauf gehts zu den Salinen!“ und weg isser. Wir fragen uns durch das Dorf, ueberqueren eine Bruecke und duerfen unsere Rucksaecke wieder am Eingangshaeuschen abstellen – zum Glueck, denn erneut geht es stramm bergauf. Doch die Anstrengung lohnt sich; wir erreichen die Salzterrassen von der Rueckseite und sparen uns die Touristenmassen. Stattdessen quatschen wir mit ein paar Salzbauern, die uns die Wegchen zwischen den Terrassen zeigen und uns bedeuten, ihnen zu folgen. Und so sehen wir die Becken aus der Naehe, in die das Wasser einer salzhaltigen Lagune eingeleitet wird, wo es dann verdampft. Auf der Wasseroberflaeche bilden sich wunderschoene, zarte Kristallgebilde, das teure „Fleur de Sel“. Etwa zehn Familien leben hier im und vom Salz, das nach ganz Peru verkauft wird. Die Familien machen gerade Mittagspause und setzen sich zum Essen auf die Raender der Becken. Ein paar kleine Maedchen jagen ueber die schmalen Pfade und klettern geuebt von Terrasse zu Terrasse.
Wir erreichen den touristischen Teil der Terrassen und hoeren die Guides wieder die Gruppen zusammentrommeln: „Gruppe ‚Kondor‘, Gruppe ‚Kondor‘, zurueck zum Bus bitte!“ oder „Gruppe ‚Incas‘, Gruppe ‚Incas‘, der Bus wartet nicht, beeilen Sie sich bitte!“ Wieder bin ich froh, auf eigene Faust mit Lucas unterwegs zu sein und nicht mit all den Selfiesticks in einem klimatisierten Van sitzen zu muessen. (Sondern unsere Rucksaecke durch die Mittagshitze zum oertlichen Terminal zu schleppen.) Irgendwann stellt sich Lukas auf eine Treppenstufe und bruellt, so laut er kann: „Gruppe ‚Gegrilltes Meerschweinchen mit Knoblauch‘, bitte zurueck zum Buuuhuuus!“ und ich breche vor Lachen fast ab, weil jetzt alle denken, ich gehoere zur Gruppe ‚Gegrilltes Meerschweinchen‘ und Lukas ist das Alpha-Schwein.
Am Abend besichtigen wir noch Moras, wo die Inca seltsame Amphitheaterartige Terrassen hinterlassen haben. Tatsaechlich aber waren diese wohl landwirtschaftliche Laboratorien, wo die Inca prueften, welche Pflanzen auf welcher Hoehe in welcher Himmelsrichtung am besten gedeihte.
Und obwohl ueberall „Betreten verboten“-Schilder stehen, tun wir das, was zivilisierte und gebildete Menschen nicht tun sollten: Wir springen von Terrasse zu Terrase, rennen in die Mitte eines solchen Amphitheaters, sehen rund um uns herum die hoch aufragenden Terrassen und fuehlen uns fuer einen Moment wie im Nabel der Welt. Dann schenkt uns Mutter Natur noch einen herrlichen Sonnenuntergang vor der Bergkulisse der Anden – und im Dunkeln warten wir dann eine Stunde lang an der Autostrasse auf den Bus zurueck nach Cusco, weil Autostopp, das klappt hier irgendwie nicht.
¡¡¡Lucas, amigo y mejor compañero de locuras, muchisimas gracias por estos dias hermosos!!!
Anmerkung: Ich schwaerme generell dafuer, alles, was nur geht, auf eigene Faust zu unternehmen, statt ueber gebuchte Touren von Agenturen. Dennoch habe ich natuerlich selbst an organisierten Touren teilgenommen – meist aus Unwissenheit, denn fast alles waere auch im Alleingang moeglich gewesen. Denn ich fuehle mich in einem Touristenvan voller Gringos eben immer als Zuschauerin; wenn ich mit den Leuten vom Land dagegen zusammengepfercht im Minibus sitze und mich von Dorf zu Dorf hangele, als Teilnehmerin. Was in dem Beitrag auch nicht zur Sprache kommt: „Auf eigene Faust“ heisst, einige Zeit in die Organisation zu stecken: Wann faehrt wo welcher Bus? Gibt es ueberhaupt einen Campingplatz? Wo ist das Busterminal? Kann ich im Notfall auch laufen? Zu den Amphitheatern nach Moras zu kommen, war letztendlich nur moeglich, weil ich doch ein Taxi zahlte – es gab tatsaelich keinen Bus dorthin. Und wir haben unsere schweren Campingrucksaecke ziemlich viel weit ueber Stock und Stein geschleppt. Zu zweit sind solche Aktionen wesentlich unterhaltsamer als allein. Denn man verbringt doch sehr viel Zeit in den kleinen Ueberlandbussen oder steht an der Strasse und schluckt Staub, weil einen keiner mitnehmen will. Diese Abenteuer „spart“ man sich natuerlich, wenn man an praefabrizierten Tours teilnimmt. Aber man verpasst eben auch Uebernachtungen auf Fussballplaetzen und vieles mehr, was fuer mich das Reisen erst richtig wert macht.